Ingrid Loschek

Aus: Vitus Weh (Hg.): Glanz & Verderben. Die Unheimliche Konjunktur des Kristallinen. Kunstverein Medienturm Graz, Wien/Bozen 2009. ISBN 97838525694791

Blendwerk Mode – Lichtkristalle und funkelnde Entmaterialisierung

 

Die Geschichte der Mode ist eine Geschichte der Ablenkung und Blendung. Was verdeckt und kaschiert werden muss, ist der Körper. Ist er zu real und daher peinlich? Über Strategien der glänzenden Überformung und funkelnden Entmaterialisierung berichtet die Modewissenschaftlerin Ingrid Loschek.

 

Kleidung ist eine Fassade. Sie ist eine Hülle des Ich, eine Tarnung für Körper, Geist und Seele. Artfremdes oder Künstliches verbirgt das Natürliche, überformt den Körper und schafft eine Schnittstelle zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Umwelt.

Der Übergang vom herrschaftlichen Blendwerk zum demokratischen ‚Image Making’ bedurfte allerdings eines längeren sozialpolitischen Prozesses.

 

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Kleidung an und für sich ist Blendwerk. Blenden bedeutet im militärischen Bereich, dem Feind die Sicht zu nehmen, ihn an der Beobachtung zu hindern oder in seinen Bewegungen einzuschränken. Beispielgebend schützten und tarnten Rüstungen nicht nur, sondern sie blendeten auch den Gegner durch ihren Glanz. Sowohl im militärischen und im klerikalen, als auch im zivilen Bereich dienen Kleidung und Mode der Abwehr und der Anziehung, dem heute so genannten „Impression Management“.

 

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Nach der asketischen und minimalistischen Phase der Zweiten Moderne in den 1990er Jahren greift die Post-Postmoderne des 21. Jahrhunderts das Ornament wieder auf.[i] 2005 versah Miuccia Prada ihre Kreationen mit Glassteinen und Perlen, die bei aller Opulenz einen zurückhaltenden Eindruck hinterließen. Nicht eine im Sinne des Ethno-Looks emotionale, als vielmehr eine fiktive und elitäre Ornamentierung wurde augenscheinlich. (….) Hussein Chalayan brachte in seiner Kollektion „Airborne“ (2007/08) Kleider und Hüte mittels integrierter LEDs (lichtemittierende Dioden) zum Leuchten und steigerte die Strahlkraft durch aufgenähte Swarovski-Kristalle.[ii] Licht, das Medium der Strahlkraft, erhielt so eine neue vestimentäre Dimension. In „Readings“ ging Chalayan einen Schritt weiter und integrierte in Kleider Mini-Laser, deren Strahlen als Symbol für die Verherrlichung der Sonne standen. Ebenso könnte das Laserlicht die Glorie oder Energie des Trägers sichtbar machen und die Umwelt blenden; in einer modernen, zeitgemäßen Weise wie einst die Prunkgewänder der Herrschenden.

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Die Entmaterialisierung mittels kristalliner oder spiegelnder Flächen, mittels durchlässiger Gitterstrukturen sowie des Lichtes verleiht auch vielen aktuellen Architekturbeispielen ihre Faszination.

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Durch die Digitalisierung erfahren Objekte eine Auflösung des körperlich Dreidimensionalen und damit eine Entkörperlichung. Umgekehrt erscheinen in Realität Objekte in einer zunehmenden Flachheit. Sie erscheinen wie eine flächige Silhouette ihrer selbst und sind von ihrer Entwurfszeichnung kaum zu unterscheiden, wie  (…..) die flachen Etui-Modelle mit nur aufgedruckter Jacke der Maison Martin Margiela  2009 sowie ein Kleid als zweidimensionales Versatzstück beziehungsweise Blende von Rei Kawakubo für Comme des Garçons 2008 belegen. Damit werden Objekte zu Formen ohne Rauminhalt. (…..) Das Gestalten für die Zukunft sehen manche Designer im Gestalten von „Etwas ohne Form“[iii]. Noch stehen das Kristalline, das Licht emittierende und die forcierte Flachheit als Metapher für eine neue Künstlichkeit, eine Überschreibung und Überstrahlung des natürlichen Körpers, doch die Frage stellt sich, ob Glanz oder Verderben in der Auflösung der realen Welt und der zunehmenden Abstraktion der Realität[iv] liegen.

 

 

 



[i] Ingrid Loschek: Wann ist Mode? Strukturen, Strategien und Innovationen. Berlin 2007, S. 241 ff.

[ii] Video siehe: http://vids.myspace.com/index.cfm?fuseaction=vids.individual&videoid=2012076988.  Siehe dazu auch: Ingrid Loschek: Wann ist Mode? S. 85f.

[iii]Auf die Frage nach der Gestalt der Zukunft antwortete der Japaner Tokujin Yoshioka, der 2007 auf der „Design Miami“ zum Designer des Jahres gewählt wurde: „Etwas ohne Form“. Zit. Nach: Simona Heuberger: Die Auflösung der Form. In: ebd. S. 32. Auch Philippe Starck hat sich des Öfteren in diese Richtung geäußert.

[iv] Siehe auch: Jean Baudrillard: Agonie des Realen. Berlin 1978 und Jean-François Lyotard: Matériau. Ausst.-Kat.: Les Immatériaux. Centre Pompidou, Paris 1985.