Ingrid Loschek

aus Alba d’Urbano/Tina Bara (Hg.): Eine Frage nach der Geste. Edition Fotohof, Salzburg 2008. ISBN 9783901756917                                           

Von der Geste zum Ritual in der Mode

 

Der Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco verwies auf die Geste einer Kleidung mit der Feststellung: „Ein Kleidungsstück, das einem die Hoden einzwängt, lässt einen anders denken“[i]. Diese Bezugnahme des Schriftstellers auf seine neue, enge Jeans ging als „Lendendenken“ in die Geschichte ein. Die Interaktion Kleidung – Körper – Denken könnte man mit der These des Philosophen Maurice Merleau-Ponty erklären: „Le corps n'est pas une chose, il est une situation“[ii] und diese Feststellung erweitern in „Le vêtement n'est pas une chose, il est une situation“. Eine Situation kann eine augenblicklich innehaltende Geste sein. Die Situation kann auch in der Reihenfolge Denken – Kleidung – Körper erfolgt sein, zum Beispiel wenn ein religiöser oder/und moralischer Code die Verschleierung von Gesicht und Körper verlangen. Die von Geist zum Körper geleitete Geste wird erweitert, übertragen oder ausgelagert auf das Anorganische, das Objekt. Der Geist formt die Kleidung, die Kleidung formt den Körper und zwingt ihm eine Haltung auf, unabhängig davon, ob Kleidung den Körper einzwängt oder überformt. Die Körperhaltung sowie die Art und Weise des Bewegens kann wie eine Geste codiert sein. Schuhe mit extrem hohen Absätzen zwingen die Trägerin als Ausgleich der Balance zu einem Hohlkreuz, wodurch es zur Betonung von Gesäß und Busen kommt, die als sexuelle Geste verstanden wird. Als Rückschluss der sexuellen Geste gelten High Heels als erotisch. Ähnliches gilt für eine enge Jeans, wenn ihr eine – uneigentliche - erotische Gestik zukommt. Bei Musikern der britischen Pop-Szene wird eine solche ‚zelebriert’, indem die Träger den zweitobersten Knopf des Hosenschlitzes ihrer Jeans offen lassen, um so einen Einblick zu gewähren ähnlich dem eines offenen Busenknopfes beim weiblichen Geschlecht. Die Wechselwirkungen von Kleidung – Körper – Geist waren in der adeligen Mode seit dem späten Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert perfektioniert und veräußerlicht worden, denkt man an die engen Strumpfhosen mit Schamkapsel des Mannes im 15. Jahrhundert oder das Korsett der Frau im 18. Jahrhundert.

 

 



[i] Umberto Eco: Das Lendendenken. In: Wolkenkratzer Nr.4 September-Oktober 1986, S. 74-75.

[ii] Maurice Merleau-Ponty schreibt an anderer Stelle: „Le corps n'est pas une chose, …. il est une condition permanente de l’expérience.“ Siehe: Maurice Merleau-Pony : Phénomenologie de la Pérception. Neuauflage Paris 1976.