Ingrid Loschek

Aus: Stefan Thull / Josef Moch (Hg.): Mochfiguren 1907 – 2007. Köln 2007. ISBN 978-3-00-022102-6. 

Die Schaufensterfigur in der Kultur der Zeit

 

 

(….) In den 1920er Jahren wurde erstmals der (mit kurzfristigen Ausnahmen) über Jahrhunderte erotisch dominante, geschnürte Torso der Frau durch das neue Hängerkleid vollkommen negiert, während Arme und Beine für ihre funktionelle Bestimmung befreit und zum erotischen Blickfang wurden. Die weiblichen Schaufensterpuppen mussten erstmals viel „Haut“ zeigen und erhielten Beine, die mit fleischfarbenen Strümpfen bemalt waren. Die gelackten Haare, der laszive Blick der kajalgeschminkten Augen, der dunkelrot zum Amorbogen geschminkte Mund, die blasierte, kühle Haltung (heute würde man diese als „cool“ bezeichnen) waren wie geschaffen für die Wiedergabe wächsener Mannequins. Inspiration lieferten die Stars des Stummfilms, wie Louise Brooks, Pola Negri oder Lil Dagover, die die aristokratischen Rollenvorbilder der Vorkriegszeit ersetzten.

Daneben entwickelte sich ein Interesse an der Manipulation der Puppe aus der Sicht der Kunst, wie des Dadaismus, des Kubismus, der Abstrakte wie auch des Surrealismus.

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Der 12. Februar 1947 wurde ein historisches Datum in der Geschichte der Mode. Christian Dior eröffnete mit Hilfe des Textilfabrikanten Boussac seinen Salon. Seine erste Haute Couture-Kollektion „Ligne Corolle“ wurde unter der Bezeichnung „New Look“ weltbekannt. Abendkleider  aus zig Metern von Tüll wirkten wie ein Traum, aber auch Kostüme wie „Bar“ mit kleinem Revers, wattiertem Schoß, der die enge Wespentaille und den Hüftknick betonte, und vor allem mit schmalen Schultern, bei denen erstmals seit über einem Jahrzehnt auf die Achselpolster verzichtet wurde, sowie mit weitem wadenlangen Rock. Obwohl der Stil eigentlich eine Rückbesinnung auf die heile Vergangenheit der Belle Epoque war, strahlte er Zukunft aus. Fortan mussten die Schaufensterpuppen ein „Hutgesicht“, gespreizte Finger für die unerlässlichen Handschuhe haben und eine elegante Handtasche am Arm und einen Stockschirm in der anderen Hand halten können.

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Heute findet man in den Schaufenstern eine große Vielfalt an Inszenierungen und Puppen mit karikierenden Punk- oder Techno-Köpfen oder abstraktem Drahtgewinde als Kopf. Die modernen Frauenpuppen blicken selbstbewusst, herausfordernd und erotisch oder verkörpern androgyne Sportlichkeit. Daneben gibt es seit 2005 vermehrt Senioren-Schaufensterpuppen, denn die Welt der Puppen ist immer ein Spiegelbild der Realität, allerdings idealisiert. Die Schaufensterpuppe zeigt das Zeitgemäße im Dienste der Vermarktbarkeit der Mode.